
Das Judenthum in der Musik. Von Richard Wagner.
Leipzig
Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber
1869
[Leerseite mit Besitzervermerk] An
Frau Marie Muchanoff geborene Gräfin Nesselrode.[WS 1]
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Hochverehrte Frau!
Vor Kurzem wurde mir aus einem Gespräche, an welchem Sie theilnahmen, Ihre verwunderungsvolle Frage nach dem Grunde der Ihnen unbegreiflich dünkenden, so ersichtlich auf Herabsetzung ausgehenden Feindseligkeit berichtet, welcher jede meiner künstlerischen Leistungen namentlich in der Tagespresse, nicht nur Deutschlands, sondern auch Frankreichs und selbst Englands, begegne. Hie und da ist mir selbst in dem Referate eines uneingeweihten Neulings der Presse die gleiche Verwunderung aufgestoßen: man glaubte meinen Kunsttheorien etwas zur Unversöhnlichkeit Aufreizendes zusprechen zu müssen, da sonst nicht zu verstehen sei, wie gerade ich so unabläßlich, und bei jeder Gelegenheit, ohne alles Bedenken in die Kategorie des Frivolen, einfach Stümperhaften herabgesetzt, und dieser mir angewiesenen Stellung gemäß behandelt würde.
Es wird aus der folgenden Mittheilung, welche ich als Beantwortung Ihrer Frage mir gestatte, Ihnen nicht nur hierüber ein Licht aufgehen, sondern namentlich werden Sie aus ihr sich auch entnehmen dürfen, warum ich selbst zu dieser Aufklärung mich anlassen muß. Da Sie mit jener Verwunderung nämlich nicht allein stehen, fühle ich die Aufforderung, die nöthige Antwort zugleich auch an viele Andere, und deßhalb öffentlich, zu geben: einem meiner Freunde konnte ich dies aber nicht übertragen, da ich keinen von ihnen in solch unabhängiger und wohlgeschützter Stellung weiß, daß ich ihm die gleiche Feindseligkeit zuzuziehen wagen dürfte, welcher ich nun einmal verfallen bin, und gegen welche ich mich so wenig wehren kann, daß mir in ihrem Betreff nichts Anderes übrig bleibt, als eben nur ihren Grund meinen Freunden genau zu bezeichnen.
Auch ich selbst kann hierzu nicht ohne Beklemmung mich anlassen: jedoch rührt diese nicht von der Furcht vor meinen Feinden her (denn da hier mir nicht das Mindeste zu hoffen bleibt, habe ich auch Nichts zu fürchten!), sondern vielmehr von der besorglichen Rücksicht auf hingebende, wahrhaft sympathische Freunde, welche das Schicksal mir aus der Stammverwandtschaft desselben national- religiösen Elementes der neueren europäischen Gesellschaft zuführte, dessen unversöhnlichen Haß ich mir durch die Besprechung seiner so schwer vertilgbaren, unsrer Cultur nachtheiligen Eigenthümlichkeiten zugezogen habe. Hiergegen konnte mich aber die Erkenntniß dessen ermuthigen, daß diese seltenen Freunde mit mir auf ganz gleichem Boden stehen, ja, daß sie unter dem Drucke, dem alles mir Gleiche verfallen ist, noch empfindlicher, selbst schmählicher zu leiden haben: denn ich kann meine Darstellung nicht ganz verständlich zu machen hoffen, wenn ich nicht eben auch diesen, alle freie Bewegung lähmenden Druck der herrschenden jüdischen Gesellschaft auf die wahrhaft humane Entwickelung ihrer eigenen Stammverwandten mit der nöthigen Klarheit beleuchte.
Somit sei Ihnen zunächst mit dem Folgenden ein Aufsatz aus meiner Feder mitgetheilt, welchen ich vor nun über achtzehn Jahren veröffentlichte.